Ärzte in sozialen Netzwerken
Gestern erreichte mich folgende Pressemitteilung des Ärztenachrichtendienstes Verlagsgesellschaft mbH (änd):
Neue Studie: So nutzen Ärzte Facebook, Twitter & Co.
Mehr als jeder zweite niedergelassene Arzt nutzt bereits soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter & Co. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Ärztenachrichtendienstes (ÄND) unter den Lesern seiner Portale Facharzt.de, Hausarzt.de und Zahnärztenachrichtendienst.de.
Mehr als 1.000 Mediziner beteiligten sich und machten die Umfrage damit zur größten ihrer Art zu diesem Thema.
„Die hohe Aktivität der Ärzte auf sozialen, nicht-medizinisch geprägten Netzwerken hat selbst uns überrascht“, sagt Karl-Heinz Patzer, Projektleiter für Marktforschung und Umfragen beim ÄND. Doch wie stark nutzen Ärzte diese Medien auch wirklich beruflich? „Auch dazu hat die Studie sehr klare Ergebnisse erbracht“, berichtet Patzer. Klar ist aber auch: Weit mehr als die Hälfte der Ärzte sind fest davon überzeugt, dass Social Media in Zukunft ein weit wichtigere Rolle spielen wird – und sie sich deshalb damit auch intensiver beschäftigen werden.
Sehr klare Aussagen trafen die Befragten auch dazu, was sie sich von solchen Medien in Zukunft versprechen und wünschen. Abgefragt wurde darüber hinaus: Welche Plattformen rangieren auf der Bekanntheits- und Beliebtheitsskale auf den oberen Rängen? Haben die Ärzte dort einen eigenen Account? Wie aktiv nutzen sie die Plattform? Nutzen sie sie auch mobil? Und: Was hindert die „Verweigerer“, sich auf sozialen Plattformen zu engagieren?
Ein Arzt fasste zum Abschluss der Umfrage den Stand der Dinge für sich so zusammen: „Wenn ich Social Networks nutze, will ich mich optimal darstellen. Kostet viel Zeit, wird im Gesundheitswesen mit zunehmender Konzentration kommen und wer überleben will – wie wir – wird sich diesen Entwicklungen nicht verschließen.“
(Im Netzwerk des Ärztenachrichtendienstes (änd) sind über 47.000 Nutzer registriert, es finden sich über 600.000 Beiträge zu medizinischen, technischen und gesundheitspolitischen Themen online. Einzigartig im Internet: Der änd wird seit vielen Jahren von seinen eigenen Lesern finanziert. Mehr als 7.000 Abonnenten zahlen freiwillig für die Nutzung, obwohl der Zugang auch kostenlos zu haben ist.)
Nun gut. Laut dieser Pressemeldung könnte man den Eindruck gewinnen, Ärzte sind ein höchst internetaffines Völkchen. Laut der Bundesärztekammer gab es in Deutschlandim Jahr 2009 knapp 430.000 Ärzte. Das bedeutet, gut 10% sind im Netzwerk des Ärztenachrichtendienstes registriert (was noch lange nicht aktiv bedeutet). Laut dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) (PDF) waren schon im März 2010 30 Millionen Deutsche ab 14 Jahren Mitglied in mindestens einer Online-Community. Das sind bei etwas über 80 Millionen Einwohnern weit über 30%. Somit liegen die Ärzte weit unter dem Bundesdurchschnitt, zumal die Gruppe von Menschen mit Abitur und Studium zu 88% im Internet aktiv sind (Quelle: http://www.netz-online.com/2010/08/07/internetnutzung-in-deutschland-2010-ein-wenig-statistik/). So gesehen sind die Ärzte noch weiter abgeschlagen. Dass jeder zweite Arzt das Internet nutzt, stimmt sicherlich nicht, denn es haben bei der Befragung 1.000 Ärzte, die auf den Portalen aktiv sind, teilgenommen. Abgesehen davon, dass 1.000 wohl keine repräsentative Zahl ist, sind die befragten Ärzte ja bereits auf den in der Pressemitteilung genannten Portalen aktiv. Andere Ärzte wurden jedoch nicht befragt. Also gilt hier wohl leider: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Da ich mit Ärzten zusammen im Internet arbeite, fand ich diese Meldung äußerst ämusant, stellt sie die Netzaktivität von Medizinern eindeutig verfälscht dar. Leider ist meine Erfahrung die, dass zurzeit noch sehr wenige Ärzte Interesse am Internet (in beruflicher Hinsicht) haben und dies auch kaum nutzen. Schade. Aber ich bin sicher, dass auch diese Berufsgruppe noch die Vorteile des Internets schätzen lernen und davon profitieren wird.
„Traue keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast“, ist zwar ein etwas altzopfiger Statistikerspruch – kommt aber immer gut.
„Traue keinem Blogger, der nicht selbst recherchiert“, möchte ich dem entgegensetzen.
Scherz beiseite! Ich habe diese Studie durchgeführt und möchte deshalb ein paar Anmerkungen dazu machen:
Die oben erwähnte Grundgesamtheit von 430.000 Ärzten ist falsch. Wir haben nur niedergelassene Haus- und Fachärzte befragt und keine Kliniker. Damit sprechen wir von einer Grundgesamtheit von ca. 120.500 Ärzten (aktuellste BÄK-Statistik 12/09) bei einer Stichprobe von theoretisch (per Newsletter/Websiteaufforderung) erreichbaren ca. 35.000 Ärzten. Innerhalb der 2-wöchigen Erhebungszeit haben 1036 Ärzte den umfangreichen Fragebogen beantwortet, in die Ergebnisauswertung sind jedoch nur die gekommen, die alle Fragen beantwortet haben (926). Damit haben wir mit 2,6% einen für solche Online-Umfragen sehr hohen Rücklauf erreicht, obwohl das Incentive – Verlosung einer 300-Euro-Amazon-Gutscheins – relativ bescheiden ausgefallen ist. Dies lässt zumindest schon mal auf ein großes Interesse der Ärzte an dem Thema schließen.
Der oben gezogene Rückschluss von den änd-Nutzern auf das Internetverhalten von Ärzten insgesamt ist völlig verkehrt: Es gibt in Deutschland ja zahlreiche „geschlossene“ Ärzteportale, und selbstverständlich ist nicht jeder Arzt auf änd-Sites registriert. Insgesamt ist die Internetaffinität von Ärzten ähnlich ausgeprägt, wie die der deutschen Gesamtbevölkerung (siehe dazu die alljährliche LaMed-Erhebung unter http://www.la-med.de/).
Ebenso selbstverständlich ist, dass unsere Studie nicht repräsentativ ist. Das liegt aber nicht an der oben kritisierten Teilnehmerzahl von „nur 1.000“ Ärzten, sondern an der Stichprobe insgesamt – wenn man ausschließlich online-affine User eines Social Media Fachportals nach ihren Social Media-Aktivitäten insgesamt befragt, kann man natürlich keine Rückschlüsse auf alle Ärzte (also auch solche, die nie oder fast nie ins Intergeht gehen) ziehen. Aber das wollten wir auch gar nicht. Uns ging es nicht um die Frage, wie Ärzte das Internet nutzen (das ist hinreichend belegt), sondern darum, welche der großen sozialen Plattformen von „Online-Ärzten“ wie intensiv und zu welchen Zwecken (beruflich/privat) genutzt werden. Wo haben sie eigene Accounts, wie oft kommen sie mit mobile devices auf die Plattformen und welche Inhalte suchen sie hier? Und dazu liefert die Studie sehr aufschlussreiche Ergebnisse.
Im übrigen finde ich den Blog WortWirrWarr mindestens so amüsant, wie der betreibende Blogger meine Erhebung: Meine Telefonnummer war in der Pressemeldung ebenso angegeben wie meine E-Mail-Adresse: Ein kurzer Anruf hätte genügt, um all diese Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Herzliche Grüße aus München,
Karl-Heinz Patzer
0151 212 75 744
Hallo Herr Patzer,
vielen Dank für Ihren Kommentar.;-)
Erst einmal haben Sie vollkommen Recht, dass ich nicht die Zahl der niedergelassenen Ärzte angegeben hatte. Mea culpa!
Dennoch schreiben Sie es selber: Die Studie ist nicht repräsentativ. Sie ist allerdings so formuliert, als sei sie es. Wir wissen beide, wie Zahlen zustande kommen können, deshalb kann mich auch die Reichweitenangabe der LA-MED Studien nicht beeindrucken. Und ich glaube (rein aus meiner beruflichen Erfahrung mit Medizinern heraus, ich habe keine Studien vorzuweisen) nicht, dass jeder zweite niedergelassene Arzt soziale Netzwerke nutzt. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich freue mich, dass mein Blog sie amüsiert. Damit hat er ja schon seinen Zweck erfüllt.
Herzliche Grüße
Miriam Funk
Nun ich finde ja den Grundsatz der Idee nicht schlecht. Es ist doch auch mal gut über ein Medium wie dem Internet Kontakt zu einem Arzt knüpfen zu können. Aber mal unter uns, selbst wenn 100% aktiv wären, was bringt es einem wenn man sich kaum noch einen 0815 Arztbesuch leisten kann? Erstmal Geld dann Behandlung ist für mich nach wie vor einfach wahnwitz. Wenn man krank ist soll man sich nicht erst noch an finanzielle Aspekte denken müssen!
Dennoch ein sehr sehr schöner Artikel den du da verfaßt hast. ich les bei dir immer lieber mit :)